Um 15 Uhr hält die 22-jährige chinesische Touristin Wang Li ihr Handy hoch. Vor einer Fotomotivwand unter den Leuchtreklamen des Huaqiangbei Electronics World justiert sie den Winkel, bereit für ihr erstes Erinnerungsfoto an ihren Besuch.
Nicht weit davon entfernt verhandelt ein Käufer aus Indien mit einem Händler – unterstützt durch ein Übersetzungsgerät. Er hat soeben sechs Drohnen auf einmal in diesem Geschäft erworben.
Solche Szenen sind in Huaqiangbei alltäglich. Das Viertel im Bezirk Futian von Shenzhen wandelt sich zunehmend zu einer internationalen, „grenzenlosen“ Nachbarschaft.
Die einstige „Nummer 1 der Elektronikstraßen Chinas“ vollzieht einen stillen Wandel. Sie ist nicht länger nur ein Handelsplatz für Händler und Großabnehmer, sondern auch ein angesagtes Ziel für die junge Generation, insbesondere die nach 2000 Geborenen, um den neuesten Tech-Trends nachzujagen. Zudem ist sie ein Muss für ausländische Besucher, die „Innovation ‚Made in China‘“ live erleben wollen.
Aktuelle offizielle Daten zeigen: Im ersten Halbjahr 2025 verzeichnete das Geschäftsviertel Huaqiangbei ein durchschnittliches Tagesaufkommen von 750.000 Menschen – ein Anstieg von 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die durchschnittliche tägliche Zahl ausländischer Besucher überschritt 7.000 und hat sich damit im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt.
Was ermöglicht es einem Fachmarkt, seine traditionellen Grenzen zu sprengen und diese beiden scheinbar unterschiedlichen Gruppen massenhaft anzuziehen?
Technik zum Anfassen
„Ich dachte immer, Huaqiangbei sei ein Ort, an dem meine Eltern Computerteile kaufen. Aber seit ich hier bin, weiß ich: Es ist eine ‚Schatzkammer für Fotos‘.“
Wang Lis Handy-Galerie beherbergt fast 20 Fotos aus Huaqiangbei: Aufnahmen unter dem riesigen Schild des Electronics World, die Suche nach den neuesten kabellosen Kopfhörern im Elektronikmarkt oder das Testen neuester AR-Brillen im beleuchteten Korridor der Einkaufspassage.
Nachdem sie ihren Guide „Huaqiangbei: 7 Märkte, die man gesehen haben muss“ auf Xiaohongshu postete, füllte sich der Kommentarbereich mit Anfragen nach ähnlichen Routen.
Heute besteht ein bedeutender Teil der Hauptkundschaft Huaqiangbeis neben den traditionellen Einkäufern aus den Jahrgängen nach 2000, 2010 und sogar 2015. Diese Generation, die im Internetzeitalter aufwuchs, hat völlig andere Konsumpräferenzen als die der 60er und 70er Jahre. Sie interessiert sich weniger für große 3C-Produkte wie Handys, Computer und Kameras, sondern bevorzugt alle Arten von neuartigen „Gadgets“.
Für sie liegt der Reiz Huaqiangbeis im „Greifbaren“.
Anders als beim Online-Shopping, bei dem man nur Spezifikationen betrachten kann, kann hier jedes Smart-Gerät sofort ausprobiert werden. Im Bereich Smart Office kann man Übersetzungs-Kopfhörer tragen, um ein „grenzüberschreitendes Gespräch“ zu simulieren; an Ständen für Wearables kann man die Herzfrequenz-Messfunktion einer Smartwatch direkt testen. „Online-Testberichte wirkten immer ungreifbar. Hier Dinge selbst in die Hand zu nehmen, zeigt mir, welches Produkt wirklich zu mir passt“, sagt Lin Miaomiao, Jahrgang 2000. Sie empfiehlt ihren Kollegen „Entdecker-Routen“ durch Huaqiangbei und hat bereits drei Smart-Gadgets gekauft: kabellose Kopfhörer, eine Powerbank und einen Bluetooth-Lautsprecher.
Ein langjähriger Händler vor Ort erklärt, dass in Huaqiangbei nicht nur Verkäufer, sondern auch viele Unternehmen der Konsumelektronik-Branche angesiedelt sind. Ein Design könne morgens finalisiert, nachmittags ein Prototyp gefertigt und am nächsten Tag bereits in die Serienproduktion geschickt werden. Dieser hocheffiziente Innovationszyklus verleihe dem Viertel eine Kernkompetenz im Bereich kleiner Elektronikwaren.
Neben der jungen Generation ist Huaqiangbei auch ein Pflichtprogramm für ausländische Gäste in Shenzhen.
„Als ich nach Huaqiangbei kam, fühlte ich mich wie in einem Technikmuseum“, sagte der bereits erwähnte indische Käufer, der zum ersten Mal in Shenzhen war. Seine Reise diente nicht nur dem Einkauf von Drohnen für seine Firma, sondern auch touristischen Zwecken. Er habe Shenzhen bereits seiner Familie empfohlen und plane, sie beim nächsten Mal mitzubringen.