Allah, der Erhabene, sagt:
„Wahrlich, Allah befiehlt euch, die anvertrauten Güter ihren Berechtigten zurückzugeben. Und wenn ihr zwischen Menschen richtet, so richtet in Gerechtigkeit. Vorzüglich ist das, womit Allah euch ermahnt. Siehe, Allah ist allhörend und allsehend.“ (Sure An-Nisa [4]:58).
Imam As-Suyuthi, möge Allah ihm barmherzig sein, erläutert in seinem Werk „Asbabun Nuzul“ den Offenbarungsanlass dieses Verses. Überliefert wird von Ibn Mardawih, dass Ibn Abbas berichtete: „Als der Gesandte Allahs die Stadt Mekka eroberte, ließ er Uthman bin Talhah rufen, den Hüter der Schlüssel der Kaaba, der damals noch nicht den Islam angenommen hatte.
Als Uthman zu ihm kam, sagte der Gesandte Allahs: ‚Gib mir die Schlüssel der Kaaba.‘ So brachte er die Schlüssel und übergab sie dem Gesandten Allahs. In diesem Moment erhob sich Abbas (der Onkel des Propheten) und sagte: ‚O Gesandter Allahs, gib die Schlüssel mir, damit die Aufgabe der Wasserversorgung und die Schlüsselgewalt der Kaaba gemeinsam in meiner Hand liegen.‘ Doch der Gesandte Allahs gab ihm die Schlüssel nicht.
Nachdem der Gesandte Allahs die Schlüssel der Kaaba in Händen hielt, öffnete er die Tür der Kaaba und betrat sie. Dann erschien der Engel Gabriel, Friede sei mit ihm, bei ihm mit einer Botschaft Allahs, des Erhabenen (Sure An-Nisa, Vers 58, siehe oben), die Schlüssel ihrem vorherigen Hüter zurückzugeben. So ließ der Gesandte Allahs Uthman bin Talhah erneut rufen und gab ihm die Schlüssel zurück.“
Imam Ibn Kathir, möge Allah ihm barmherzig sein, erklärt in seinem Tafsir-Werk, dass die „Amanah“ (das anvertraute Gut) in diesem Vers sowohl die Pflichten des Einzelnen gegenüber Allah – wie Gebet, Zakat und Fasten – umfasst, als auch soziale Verpflichtungen gegenüber den Mitmenschen, wie die Verwahrung von Hinterlegungen, das Einhalten von Versprechen und auch das gerechte Führen.
Mit anderen Worten: Die Treuepflicht durchdringt im Wesentlichen alle Aspekte des Lebens eines Muslims, sowohl die Beziehung zu Allah (hablun minallah) als auch die Beziehung zu den Menschen (hablun minannas).
In dem genannten Vers befiehlt Allah, der Erhabene, zudem, bei Urteilen zwischen Menschen Gerechtigkeit walten zu lassen. Imam Fakhruddin ar-Razi, möge Allah ihm barmherzig sein, betont, dass Gerechtigkeit die Grundlage der Zivilisation ist.
Ohne Gerechtigkeit wird die Gesellschaft gespalten und das Chaos herrscht. Daher ist aus der Sicht der islamischen Rechtslehre die Gerechtigkeit eines der maqasid ash-shari’ah (der Hauptziele der Scharia).
Der oben genannte Vers ist eines der wichtigen Fundamente für den Aufbau einer gerechten, zivilisierten und würdevollen Gesellschaft. Gelehrte sind sich einig, dass die „Amanah“ in diesem Vers eine breite Bedeutung hat und alle Formen der Verantwortung umfasst, die der Mensch trägt – ob persönlich, sozial oder spirituell.
Die Treuepflicht als Lebensgrundlage
Wem eine Aufgabe oder Verantwortung anvertraut wird, der ist verpflichtet, dieser Verpflichtung bestmöglich nachzukommen. Er muss das anvertraute Gut mit voller Verantwortung, Ehrlichkeit und Integrität hüten. Eine anvertraute Aufgabe ist nicht nur eine Hinterlegung, sondern auch eine Prüfung, für die man sich später vor Allah und den Menschen verantworten muss.
Die Treuepflicht ist wie das Fundament eines Gebäudes. Ist das Fundament stark, steht das Gebäude fest. Ist es jedoch schwach, wird das Gebäude früher oder später einstürzen, auch wenn es von außen prächtig aussieht. Ebenso wird die soziale Ordnung zusammenbrechen, wenn die Treuepflicht vernachlässigt wird.
Eine vernachlässigte Treuepflicht führt zu einem Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber ihren Führungspersonen, gegenseitiges Misstrauen breitet sich aus und überall entstehen Konflikte. In größerem Maßstab kann der Verrat am anvertrauten Gut das gesamte Lebenssystem zerstören.
So hat die Vernachlässigung der Treuepflicht nicht nur materielle Auswirkungen, sondern löst auch eine Vertrauenskrise in der Gesellschaft aus. Wenn die Menschen sehen, dass Amtsträger im Überfluss leben, während sie selbst hart um die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse kämpfen, dann entstehen Enttäuschung, Wut und Gleichgültigkeit. Wird dieser Zustand zugelassen, bricht letztlich das gesamte Gefüge des Zusammenlebens zusammen.
Aus religiöser Sicht ist die anvertraute Verantwortung (insbesondere in Führungspositionen) nicht nur eine soziale Verpflichtung, sondern auch eine spirituelle Rechenschaftspflicht – nämlich gegenüber Allah, dem Erhabenen, am Tag des Gerichts. In einem Hadith von Abu Huraira, möge Allah mit ihm zufrieden sein, sagte der Gesandte Allahs…