Ein Schlag oder eine Ohrfeige hat noch nie einen Konflikt gelöst – sie hinterlässt nur zusätzliche Verletzungen und Reue. In einer zivilisierten Gesellschaft müssen Worte vor Fäusten kommen und die Vernunft über die Muskelkraft siegen.

Vor Jahrzehnten gab es in meiner Nachbarschaft eine Schlägerei, die mir heute noch absurd erscheint. Es ging um ein freundschaftliches Wochenend-Fußballspiel, das eigentlich allen Spaß bringen sollte. Doch einige Zusammenstöße auf dem Feld wurden zum Anlass für Feindseligkeit und Aggression. Nach nur wenigen ausgetauschten Beleidigungen stürzte sich die gesamte Gruppe in eine Prügelei. Einige hatten gebrochene Zähne, andere geprellte Gesichter.

Die örtliche Polizei musste kommen und eine Anzeige aufnehmen, aber da die Kriterien für vorsätzliche Körperverletzung nicht erfüllt waren, endete die Sache mit einer Schlichtung.

Doch was als lustiges Spiel begann, verwandelte die ganze Nachbarschaft in ein Schlachtfeld und beschädigte das Gemeinschaftsgefühl. Diese Erinnerung verfolgte mich jahrelang, und immer wenn ich von Kämpfen in der Gesellschaft höre, denke ich an diese „erst schlagen, dann denken“-Szene zurück.

Erst kürzlich landete in Cà Mau ein Lieferfahrer mit blutverschmiertem Gesicht im Krankenhaus – nur weil er einen Rückspiegel auslieferte. Der Grund: Der Kunde wollte die Ware vor der Bezahlung prüfen, der Fahrer lehnte dies jedoch aufgrund der Firmenrichtlinie ab. Nach einem kurzen Wortwechsel schlug der Kunde plötzlich zu, traf den jungen Mann an der Nase und verursachte eine Blutung. Der Angreifer musste sich schließlich vor den Behörden verantworten.

In einem anderen Vorfall in Ho-Chi-Minh-Stadt war die Öffentlichkeit von Bildern schockiert, die einen Arzt im weißen Kittel – eigentlich ein Symbol für Mitgefühl und Heilung – zeigten, wie er einen Patienten direkt im Krankenhaus angriff. Grund war eine Meinungsverschiedenheit, als der Patient sich über die Behandlungsqualität beschwerte und eine Rückerstattung verlangte. Anstatt zu erklären, verlor der Arzt die Kontrolle und wurde gewalttätig.

Zwei verschiedene Geschichten, eine aus dem Mekong-Delta, eine aus der Großstadt, aber beide von derselben Art: Die Aggression steigt schneller als der Gedanke. Sobald eine Hand erhoben wird, verschwindet die Vernunft. Und dahinter verbirgt sich eine Gesellschaft, die zunehmend anfällig für solche impulsiven Gewalttaten wird.

Warum bricht Gewalt heute so schnell aus?

Erstens müssen wir die Anhäufung von Stress im modernen Leben anerkennen. Die Menschen stehen unter Druck, um über die Runden zu kommen, im Job, im materiellen Wettbewerb, bei täglichen Begegnungen im Verkehr… All das wirkt wie ein Fass Benzin, das nur auf einen Funken wartet. Schon ein unfreundlicher Blick oder ein missliebiges Wort kann der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Zweitens bezieht das soziale Umfeld nicht immer eine klare Haltung gegen Gewalt. Zahlreiche Prügelvideos verbreiten sich rasend schnell online, erreichen hohe Klickzahlen und werden mit Kommentaren wie „geschieht ihm recht“ oder „das ist befriedigend“ bejubelt. Ungewollt werden Verhaltensweisen, die verurteilt werden müssten, zur „Unterhaltung“ und von manchen sogar als Zeichen von Stärke missverstanden.

Drittens bleibt die Vermittlung von Lebenskompetenzen, insbesondere der Emotionskontrolle, eine Lücke. Wir bringen Kindern Hunderte von Matheformeln und Tausende englische Vokabeln bei, aber selten die „Formel“, um Wut im Zaum zu halten: tief durchatmen, bis zehn zählen, sich der Situation entziehen. Ohne diese Selbstregulierungskompetenzen wachsen viele voller Wissen, aber arm an Emotionsmanagement auf und werden in Konflikten zu „tickenden Zeitbomben“.

Viertens ist das Gesetz zwar streng, aber in der Praxis gibt es Lücken. Viele Handgreiflichkeiten werden als „nicht ausreichend für eine Straftat“ eingestuft und enden nur mit einer Schlichtung. Diese halbherzige Maßnahme verleitet einige dazu, das Gesetz auf die leichte Schulter zu nehmen und zu denken: „Ein paar Schläge führen höchstens zu einer Entschuldigung oder Entschädigung – keine große Sache.“

Am besorgniserregendsten ist, dass Gewalt allmählich zu einem sozialen Reflex wird. Die Menschen haben sich daran gewöhnt, mit Muskeln statt mit Vernunft zu reagieren, mit Beleidigungen und Schlägen statt mit Dialog und Zurückhaltung.

Es braucht Lösungen, um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen

Zuerst muss es bei der emotionalen Bildung beginnen. Bereits in der Grundschule sollten Schüler Konfliktlösungsstrategien, aktives Zuhören und Wutmanagement lernen. Kinder müssen verstehen, dass wahre Stärke nicht in Muskeln, sondern in Selbstbeherrschung liegt.

Weiterhin müssen die Justizbehörden die Gesetze strikt durchsetzen – Fälle, die „nicht ausreichend für eine Straftat“ sind, sollten nicht immer in Schlichtung enden. Das Gesetz braucht klare Sanktionen, auch administrative Maßnahmen, um abschreckend zu wirken. Wer Gewalt anwendet, muss einen Preis zahlen, und sei es nur für einen einzigen Schlag.